Noch herrscht Winter in der Pflanzenwelt Tokyos und die Weiten der zahlreichen Parkflächen lassen die angesiedelte botanische Vielfalt nur erahnen. Es machen sich allerdings (wie hier im Hama-rikyu Park) bereits unaufällig die ersten Boten des bevorstehenden Frühlings bemerkbar. Wobei «unaufällig» in diesem Fall sehr abhängig von der persönlichen Sensibiliät für den durchaus recht intensiven Gelbton der dort angesiedelten Rapssaaten (jap.: nanohana) ist. In diesem Jahr durch die warmen Temperaturen schon ungewöhnlich früh aus dem Winterschlaf geweckt, posieren nun nicht nur die weißen und rosafarbenen Knospen des japanischen Pflaumenbaums (jap.: ume no ki) traditionell zum Frühlingsauftakt für die Kameras der vielen Touristen und Naturliebhaber, sondern auch die etwas «dezenteren», sonst erst mitte März erblühenden Rapssaaten gesellen sich dazu.
Wäre der Hama-rikyu Garten nicht eines der kulturellen Erbstücke der frühen Edo Periode, könnte man diese ungewöhnliche Kombination fast als eine jugendlich-rebellische Phase der dort angesiedelten Pflanzenwelt verstehen. Lässt man sich allerdings von der unkonventiellen Farbkombination überzeugen, dann liegt die Schönheit der Landschaft in diesem Jahr nicht nur in dem Kontrast zwischen wolkenkratzenden Bürogebäuden und den davor ruhenden Parkflächen, die als Zufluchtsort für zahllose in-ihr-Mittagessen und Smartphones vertieften Geschäftsleute dienen, sondern auch in den erfrischend verspielten Farbkombinationen von zwei einander sonst eher fremden botanischen Nachbarn.
Obwohl der Kirschblütenzeit (jap.: sakura no hana) im späten März keine andere Jahres- oder Blütezeit an Berühmtheit gleichkommen kann (man siehe nur die Namensgebung dieses Blogs), war es tatsächlich die etwas bescheidenere Pflaumenblüte, die ursprünglich während der Nara Periode im 8. Jahrhundert n. Chr. als «hanami» oder auf Deutsch vielleicht etwas weniger elegant: «Blumensichtung» bezeichnet wurde. Zudem erfüllen die ebenfalls rosanen bis weißen Blüten als Frühlingsvorboten mit ihrer Leichtigkeit schon im Februar die Strassen, Parks und insbesondere Tempel in Japan mit traditionellen Festlichkeiten (jap.: ume matsuri), die die Atmosphäre der Stadt mit Klängen, Speisen und nicht zuletzt der Verkostung von Pflaumenwein (jap.: umeshu) bereichern.
Ein Beispiel für diese Feierlichkeiten findet sich auf dem Gelände des Yushima Tenjin Schreins, nahe des Hongo Campuses der University of Tokyo, im Herzen Tokyos. Zu den angebotenen Waren zählen nicht nur die für westliche Geschmacksknospen exotischen Gerichte wie Takoyaki, Okonomyaki, Reiskuchen und Soba-Nudeln. Insbesondere die Teegetränke und musikalisch lebhaften Vorführungen ziehen jährlich eine beträchtliche Besucherzahl zu diesem Festgelände, wobei als Anreiz auch die Möglichkeit, dem Pflaumenwein zu Fröhnen durchaus nicht an letzter Stelle steht. Wer sich nach all dem Genuss nicht mehr ganz sicher ist, ob es sich um ein Kirsch- oder Pflaumenblütenfest handelt, dem sei ein genauerer Blick auf die Blütenblätter nahegelegt: Im Gegensatz zu Kirschblüten, haben die Pflaumenblüten keine Kerben in ihren Blättern und bilden so eine zuverlässige Datierungsmethode für zelebrierende Besucher. In all diesen Eindrücken bestätigt sich, dass Japan ein Land ist, in dem Jahreszeiten die Landschaft färben wie kaum an einem anderen Ort.
Text und Bilder: Angelina Frank